Der grosse September-Crash
Vom Schulstart-Höhenflug in den Alltagsstress
Der erste Tag mit dem schönen, neuen Schulranzen ist bereits ein paar Wochen her. Die Hefte sind voller Kritzeleien, der neue Stundenplan hat sich bereits zweimal geändert und die anfängliche Motivation weicht langsam aber sicher einer bleiernen Müdigkeit. September. Eigentlich der Monat des goldenen Herbstes, doch für viele in der Schule fühlt es sich an, als wäre der Marathon bereits in der dritten Runde und die Finish-Line ist nicht in Sicht.
Der Stress des Schulstarts ist oft kein Punkt, sondern eine anhaltende Welle, die uns alle noch Wochen später umspült. Egal, ob wir direkt im Klassenzimmer stehen, die Verantwortung tragen, als Eltern unterstützen oder selbst die Schulbank drücken: Der Übergang von der Sommer- in die Schulrealität ist oft holpriger als gedacht.
In diesem Beitrag schauen wir uns diesen anhaltenden September-Stress aus vier verschiedenen Blickwinkeln an. Denn jetzt zeigt sich oft, wo die wahren Baustellen liegen.
Die Perspektive der Lehrperson: Vom Planen zum Reagieren
Was jetzt wirklich stresst: Die sorgfältig geplanten Unterrichtsreihen kollidieren mit der Realität. Die 3b ist viel unkonzentrierter als gedacht, in der 2a klafft die Leistungsschere weiter auseinander als im letzten Jahr und eigentlich müsste man jetzt schon die ersten Prüfungen konzipieren, während man noch dabei ist, alle Namen auswendig- und Charaktere kennenzulernen. Der Stress ist nicht mehr die Vorbereitung, sondern das permanente Reagieren, Anpassen und Korrigieren. Dazu kommen die ersten Elterngespräche und der Druck, ja keine:n Schüler:in schon so früh im Jahr „abzuhaken“. Die Energie der ersten Tage ist verflogen, aber der Berg der To-dos wächst weiter.
Mein Tipp für dich: Hör auf, an deinen ursprünglichen Plänen festzuhalten. Ein guter Kapitän ändert den Kurs, wenn der Wind dreht. Nimm dir eine Stunde Zeit, um neu zu priorisieren. Was ist jetzt wirklich wichtig? Vielleicht ist es wichtiger, die Klassengemeinschaft zu stärken, als den Stoff durchzuziehen. Und: Scheu dich nicht, im Kollegium nach bewährten Tipps für bestimmte Klassen zu fragen. Ihr müsst das Rad nicht jedes Jahr neu erfinden.
Die Perspektive der Schulleitung: Vom Konzept zum Krisenmanagement
Was jetzt wirklich stresst: Der theoretische Stundenplan ist nun dem harten Praxistest unterzogen – und zeigt Risse. Die Personaldecke ist dünn, erste Krankmeldungen trudeln ein und der organisatorische Flickenteppich wird immer grösser. Der Stress besteht jetzt im täglichen Feuerlöschen und der Kommunikation nach allen Seiten: Eltern beruhigen, Kollegium motivieren und dabei versuchen, den Überblick über die grossen Ziele des Schuljahres nicht zu verlieren.
Mein Tipp für dich: Perfektion ist jetzt unmöglich. Konzentrier dich auf Transparenz und Kommunikation. Ein ehrlicher, regelmässiges Update an die Eltern („Liebe Eltern, wir wissen um die Probleme im Stundenplan und arbeiten mit Hochdruck an Lösungen“) schafft oft mehr Verständnis als Stille. Sorge aktiv für dein Team: Eine Kanne Kaffee und ein ehrliches „Wie läuft es bei euch?“ im Teamzimmer können Wunder wirken.
Die Perspektive der Eltern: Vom Motivator zum Navigator
Was jetzt wirklich stresst: Die Euphorie ist verflogen, der Alltag hat eingeschlagen. Jetzt zeigt sich, ob die neuen Lernstrategien funktionieren, ob die Freizeit-Termine mit dem eigenen Job kollidieren und wie das Kind wirklich mit dem neuen Stoff klarkommt. Der Stress ist weniger das Besorgen von Material, sondern das permanente Dazwischensein: Soll man helfen, drillen, oder doch loslassen? Die ersten schlechten Noten oder frustrierten Kommentare (“Mathe ist doof!”) sorgen für Verunsicherung. Fördere ich genug? Oder übe ich zu viel Druck aus?
Mein Tipp für dich: Wechsle von der Managerrolle in die Coachrolle. Statt Lösungen vorzugeben (“Dann mach das doch so!”), stell Fragen: “Was brauchst du, um das besser zu verstehen?” oder “Wie kann ich dich unterstützen?”. Schafft Routinen, die Entlastung bringen: Feste Lernzeiten, danach aber auch feste Entspannungszeiten für die ganze Familie. Dein Job ist es nicht, den Schulstoff zu unterrichten, sondern einen stabilen Hafen zu bieten.
Die Perspektive der Schüler:in (ab ca. 13 Jahren): Vom guten Vorsatz zur Überforderung
Was jetzt wirklich stresst: “Dieses Jahr werde ich von Anfang an alle Hausaufgaben machen!” – Dieser Vorsatz ist oft schon Geschichte. Der Stoff kommt jetzt in einer Geschwindigkeit und Menge, die überwältigend ist. In Mathe hängt man schon nach Kapitel 2 hinterher, in Englisch spricht nur die Hälfte der Klasse mit und die ersten Prüfungen rücken unaufhaltsam näher. Der soziale Druck ist ebenfalls noch da: Man fühlt sich vielleicht noch nicht richtig in der neuen Klasse angekommen. Der grösste Stressfaktor ist das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und den Anschluss zu verpassen.
Mein Tipp für dich: Atme durch. Du bist nicht allein. Sprich mit deinen Mitschüler:innen – ihr seid im selben Boot und könnt euch gegenseitig unterstützen (Lerngruppe, anyone?). Geh aktiv auf deine Lehrkräfte zu und frag konkret nach: “Ich komme bei Thema XY nicht mit. Haben Sie einen Tipp für mich oder Material zum Nacharbeiten?”. Und am wichtigsten: Blocke in deinem Kalender Zeiten für dich: für Sport, Freund:innen und absolut nichts. Sonst geht die Energie schnell flöten.
Gemeinsam durch den September: Der erste Check-in
Der September ist nicht der Zeitpunkt, durchzuziehen, sondern kurz innezuhalten und einen Check-in zu machen.
Lehrpersonen & Schulleitung: Tauscht euch aus: Was funktioniert? Was läuft schief? Wo können wir uns gegenseitig entlasten?
Eltern: Fragt nicht nur “Welche Hausaufgaben hast du?”, sondern auch “Wie fühlst du dich eigentlich gerade mit dem Schulkram?”.
Schüler:innen: Seid ehrlich zu euch selbst. Ist mein Lernweg nachhaltig? Oder rase ich nur von einer Deadline zur nächsten? Wo brauche ich Unterstützung?
Alle: Redet miteinander! Die erste Hürde ist genommen, jetzt ist der Zeitpunkt für ehrliches Feedback und kleine Kurskorrekturen.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen die Kraft, nicht durchzupowern, sondern smart zu navigieren. Ein erfolgreiches Schuljahr wird nicht im September gewonnen, aber man kann es sich hier schon unnötig schwer machen.